Wollen die Regensburger mehr Videoüberwachung?

In der heutigen Ausgabe (04.02.2020) der Mittelbayerischen Zeitung ist die Antwort darauf klar:

Gespalten ist die Stadtgesellschaft beim Thema Videoüberwachung. 59,7 Prozent wollen mehr Kameras, 46,4 Prozent nicht.

Mittelbayerische Zeitung, 04.02.2020

Insgesamt wollen also 106,1 Prozent der Befragten irgendwas…

Neben dem Text sind eine Reihe Infographiken, dort ist die Zuordnung wie folgt:

Frage: „Die Stadt durch mehr Videoüberwachung sicherer machen?“

  • unwichtig: 46,4
  • sehr wichtig: 14,5
  • wichtig: 36,2
  • weiß nicht: 2,9

Wenn man also die Fraktion, die sicher für den Einsatz von Videoüberwachung ist, zusammenrechnet, dann würde ich jedenfalls nur die „wichtig“ und „sehr wichtig“ – Fraktion zusammenrechnen. Ergibt 50,7 Prozent. Selbst  wenn man die „weiß nicht“ – Fraktion einberechnet, ergeben sich keine 59,7 Prozent.

Die Grundaussage im Text ist zwar, dass die Bürgerschaft in der Frage gespalten sei, beim schnellen Drüberlesen fühlt sich „59,7% sind pro“ doch anders an als „50,7%“.

Ach wie schön: weiter so mit dem Fleisch-Konsum!

Vor ein paar Tagen verbreitete sich weltweit eine Nicht-News durch die Presseagenturen, die wie üblich ein bisschen an die Zielgruppe angepasst wurde, vorrangig in den Überschriften:

  • „Neue Studie: Vielleicht ist rotes Fleisch doch nicht ungesund | BR24“
  • „Ernährung: Ist rotes Fleisch doch nicht ungesund? | SZ“
  • „Forscher sehen keinen Grund, auf rotes Fleisch zu verzichten | ZEIT“
  • „Rotes Fleisch doch nicht so ungesund? | FAZ“
  • „Gesundheitliche Effekte gering Ist rotes Fleisch jetzt doch nicht so ungesund?  | TAGESSPIEGEL“
  • „Rotes Fleisch und Würste sind laut Forschern doch nicht so ungesund | NZZ“
  • „Ernährung: Esst doch weiter Fleisch! – SPIEGEL ONLINE“
  • „Rotes Fleisch und Wurst sind vielleicht doch nicht so ungesund wie gedacht | RP ONLINE“
  • „Weißes Fleisch ist doch nicht gesünder als rotes Fleisch – WELT“
  • „Krebs-Gefahr: Rotes Fleisch laut neuer Studie plötzlich doch nicht so ungesund | WIZE Life“

Die Auswirkung dieser Meldungen erinnert mich ein wenig an den Stand der derzeitigen Klima-Forschung, bei der zwar fast 100% der Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinde zu den gleichen Ergebnissen kommen, aber die abweichenden wissenschaftlichen Meinungen (die es unbedingt geben darf und muss!)  von den Leugner*innen des Klimawandels als wesentlich plausibler wahrgenommen werden.

Bei der Fleisch-liebenden Konsum-Zielgruppe wird hängenbleiben, dass sich die Wissenschaft „mal wieder“ nicht einig ist. Im Zweifel für den Geschmack. Das erlernte karnistische Weltbild (Fleischessen als „natürlich, normal und notwendig“) kann weiter intakt bleiben.

Wer etwas umfassender in die Kritik an der den Meldungen zugrunde liegenden Studien bzw. der Organisation dahinter einsteigen will:

„Ach wie schön: weiter so mit dem Fleisch-Konsum!“ weiterlesen

Episode 93/2017: Nachtrag zum 1. April

Vorgestern war ja der 1. April. Manchmal überlege ich, an dem Tag die lokale Tageszeitung zur Sicherheit vom Briefkasten gleich in den Mülleimer zu werfen, aber soweit ich’s überblicken kann, haben sie sich dieses Mal mit Fake News zurückgehalten.

Hingegen haben zwei Online-Sites, die ich eigentlich sehr schätze und täglich aufsuche, den Unsinn nicht lassen können. Was macht man als Anbieter von Nachrichten, wenn die Branche über Vertrauen, Qualität und Verantwortung sowieso schon im Kreuzfeuer der Kritik steht? Wenn das konsumierende Publikum seit mittlerweile Jahrzehnten stetig abnimmt? Wenn man nicht sicherstellen kann, dass die LeserInnen täglich lesen, um jeden Hinweis, Nachtrag und jede Gegendarstellung mitzubekommen? Wenn man keine Kontrolle mehr über den Informationsfluss hat, wo doch über diverse Kanäle, Netzwerke, Feeds, die Nachricht sofort ins unendliche Netzgedächtnis entgleitet?

Richtig: Man produziert absichtlich eine schöne Falschnachricht, lustig, höhö.

Episode 36/2017: Stück – Mist

Aus irgendeinem Grund verwenden Journalisten (m/w/x) neuerdings vermehrt ihre interne Zunftsprache in der Öffentlichkeit.

Eine zunehmende Unsitte ist das „Stück“, z.B:

Erklärstück, Erzählstück, Servicestück.

Letzteres, das „Servicestück“, habe ich gerade bei einem Artikel auf SPON gefunden. Der Artikel hat die Dachzeile „Stolpern, Sturz, Vergiftung“ – setzt also gleich zu Beginn die Lehre von „Tod, Elend, Untergang“ ganz gut um. Am Ende des Artikels, einem vermutlich aus SEO-Gründen gepimpten dpa-Artikel, steht dann im Absatz:

Sie sind Minijobber und der Mindestlohn wird Ihnen verwehrt? Was Sie dagegen tun können, steht in diesem Servicestück.

Was für ein Käse, diese Stückerei. Wahrscheinlich soll das die Wertigkeit der Erzeugnisse unterstützen und hervorheben. Ein „Werkstück“, an dem fachmännisch (m/w/x) gearbeitet wurde, bis daraus ein Meisterstück wurde, das die Fachfrau (m/w/x) stolz der Weltöffentlichkeit präsentiert.

Weiterstück! Stück auf! Bis zum nächsten Stück!

Episode 1/2017: Video-Tipp Big Data und SPON

Metadaten sind nicht harmlos. Hier mal ein schöner Beitrag zum Thema für Journalisten, frisch vom 33ten Chaos Communication Congress:

Welche Erkenntnisse lassen sich durch die Analyse von Spiegel-Online-Artikeln im Zeitraum von etwas über 2 Jahren gewinnen?

U.a. Dinge wie

  • zu welchen Themen findet hauptsächlich Berichterstattung statt
  • welche Themen dürfen (mehr oder weniger oder gar nicht) kommentiert werden (Frankreich: manchmal, Pilotenstreiks: gerne, Russland: ja, Flüchtlinge: nein)
  • welche AutorInnen bilden Gruppen/Cluster
  • welche AutorInnen haben vielleicht was miteinander (Korrelation von Urlaubszeitpunkten)

Natürlich ist die Interpretation von Daten eine Kunst; eigene Vorurteile, die man unweigerlich hat, können die Betrachtung der Daten in eine falsche Richtung lenken – darauf weist David Kriesel im Vortrag auch immer wieder hin.

Tag 325/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 7

Weils so schön ist, wieder SPON (ca. 21.22 Uhr):

Trump holt die Wall Street ins Weiße Haus, Trumps Auserwählte, Daimler ordert Manager nach Parkplatz-Streit zurück, Dieser Mann soll Europa vor Le Pen retten, Kampf um höhere Gehälter, Globales Meereis schrumpft dramatisch, Darum jubelt jetzt die AfD, Mario Barth for President, Kampfansage an deutsch Islamisten, Holocaust-Leugnerin zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, Verbrechen in Hameln, 120.000 Euro für zwei Augen, Das Märchen endet tragisch, Das tote Kind an Kasse 4, Katastrophenfilm „Deepwater Horizon“, Das Trump-Petry-Faszinosum, ICE rast gegen Mülleimer mit Betonfuß, Eine Million Syrer leben in belagerten Städten, SPD und Grüne legen VW-Chef Rücktritt nahe, Pilzvergiftung, Blitz, Schlangenbiss, Ungewöhnlich in den Tod,
Tausende Lehrer protestieren gegen Schulreform, Männer haben’s schwer, Ist George Clooney schon zu alt und faltig?, „Ich werde sterben, oder?“, Donald Trump im Faschismustest, …

Tag 255/2016: Betteridge’s law of headlines

Jede Überschrift, die mit einem Fragezeichen endet, kann mit „Nein“ beantwortet werden.

So Ian Betteridge über den Einsatz einer Frage in der (Haupt-) Überschrift eines journalistischen Textes. Entsprungen aus der frustrierenden Erfahrung, dass die Frage meist nur eine Technik ist, Aufmerksamkeit für einen faktenlosen, durch keine Quellen gestützten Text zu erreichen, Hauptsache das Thema bzw. die Geschichte kann gebracht werden und Leser/innen erschrecken.

Tag 209/2016: Banner laden, Klicks, Impressionen zählen

Übermedien über die aktuelle Unsitte eingeblendeter „Die Startseite wurde aktualisiert“ Dialoge.

Verwundert nicht: Alles was die Impressionen erhöht, zu mehr Klicks führt, Werbung nachlädt, ist gut für die Anbieter. Lustig ist eher, wie schnell diese Variante von den Verlagen adaptiert wurde.

Wenigstens nicht ganz so nervig wie Bildergalerien mit Foto-Serien, bei denen der Photograph auf dem Auslöser eingeschlafen ist und die Kopfbewegung eines Porträtierten in 18 Einzelaufnahmen zu sehen – bzw. zu klicken – ist.

Oder doch?

Tag 184/2016: Pluspunkt Roboter-Journalismus

These: Wenn in ein paar Jahren die Verfahren zur Textgenerierung noch weiter ausgereift sind und die Software dafür auf Mietbasis aus der Cloud kommt, dann wird parallel dazu ein Berufsbild entstehen, das nur noch Teilaspekte der heutigen journalistischen Tätigkeit aufweist, dafür aber eine stärkere Betonung auf die Organisation, Auswahl und Analyse der Quellen zeigt. Interessanterweise. Die kommenden Werkzeuge benötigen ja Daten: verlässlich, viele, auch glaubwürdig. Zur Verfügung gestellt aus Sensoren, Kameras (Bilderkennung), Mikrofonen, Graphendatenbanken usw. Und brauchen damit jemand, der die Zusammenführung überwacht, organisiert und gewichtet. Denn aus den Daten wird blitzschnell und in dutzenden Varianten Text erzeugt, der wie jetzt schon auch zur Meinungsbildung und damit Manipulation taugt. Ich sehe das eher als Variation der häufig gelesenen Beschreibung des zukünftigen Berufsbilds des Journalisten, der mehr Fähigkeiten in der Datenanalyse und Visualisierung bekommen soll. Das ist eher schon wieder überholt.

Momentan wird ja noch, zur Beruhigung derer, die den Beruf ausüben, argumentiert, es stünde dann mehr Zeit für aufwändiger recherchierte Textformen zur Verfügung und man konzentriere sich auf einfache, besonders gut für Regeln und Algorithmen geeignete Nischen (z.B. Sport, Finanzberichte).

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Wo „geführtes Texten“ eine neue qualitative Dimension und Verfügbarkeit (!) erreicht, aus dem bisherigen Produzenten eher ein Anwender wird, verlagern sich die Bedürfnisse weg vom „individuellen Sensor Mensch“ zum Datenorganisator. Die Nischen werden weniger.

Tag 164/2016: Morgen ist Wahl des Bundespräsidenten

…nicht. Sondern, wenn nichts dazwischenkommt, im Februar 2017. Wir haben also noch 18 Tage in diesem Monat, dann Juli, August, September, Oktober, November, Dezember, Januar, Februar.

Aber, weil Joachim Löw, äh, Freudscher Versprecher heute, unser Bundespräsident Joachim Gauck nicht bis Februar 2017 warten konnte, mit seiner Äußerung, aus Altersgründen nicht noch eine 2. Amtsperiode antreten zu wollen, passiert nun Folgendes:

Wir werden noch 18 Tage in diesem Monat, dann Juli, August, September, Oktober, November, Dezember, Januar, Februar Tag für Tag, im Internet, in Zeitungen, im Radio und im Fernsehen jedes noch so „spannende“ Detail an Info, Äußerung, Meinung, Forderung, Argumentation, strategischem Winkelzug von jedem Politiker aus der 1., 2., 3. und 4. Reihe zum Thema, garniert in Kommentaren, ignorieren müssen, bis es dann endlich soweit ist (z.B. Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für Steinmeier / Warum Claudia Roth es nicht wird / XY bringt Schäuble ins Gespräch / …). Und jetzt schon vereinzelt, spätestens aber 3 Monate vorher, wird dann noch die Dauerdiskussion Vom-Volk-wählen-oder-nicht dazukommen.

Langweilige Wette.