Tag 162/2016: Beyoncé niest – und ihre Fans flippen aus

Mit dieser Meldung hat heute mein Zeitungstag begonnen: „Beyoncé niest“. Eigentlich hat er mit dem Lokalteil begonnen, aber diese wichtige Meldung hat alle anderen so überlagert, dass ich nicht mehr sagen könnte, was sonst noch passiert ist.

Was für ein Scoop! Und astreine Kriterien „[…] wahrheitsgemäß und sorgfältig wiedergegebene Information […] auf faire Weise von ausgebildeten Journalisten ausgewählt […] weil sie interessant, von allgemeiner Bedeutung oder aber in den Augen der erwähnten Journalisten für die Zuhörer von persönlichem Belang sind […]“ (Nachricht/Journalismus, nach veralteten Standards).

Bildschirmfoto eines Google-Suchergebnisses mit dem Term "Beyonce niest"
Bildschirmfoto eines Google-Suchergebnisses mit dem Term „Beyonce niest“ vom 10.06.2016

Aber, das Beste an der Sache ist, welches Potential dieser investigativ recherchierten Meldung innewohnt. Die Definition von „Niesen“ offenbart nämlich, laut Wikipedia:

Weitere mögliche Auslöser für Niesen sind helles Licht (photischer Niesreflex) oder sexuelle Erregung.

Wunderbar! Das Thema könnte man vertiefen. Und bebildern.

Aber noch mehr:

Beim Niesen können durch Tröpfcheninfektion Krankheitserreger übertragen werden.

Krankheitserreger! Drama Baby!

Vielleicht für eine Follow-up-Story: „Besucher nach Konzert von Beyoncé erkrankt. Nur Antibiotika konnten ihn retten.“.

Oder, Zitat: „Sie hätte nie in diesem Zustand auf die Bühne gehen dürfen. Das ist unverantwortlich. Sie ist nicht nur ein Superstar, sondern auch eine Superspreaderin!“

Superspreaderin? Auf jeden Fall!

Tag 154/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 6

Schlüsselbegriffe und Satzfragmente, heute mit einem Schnappschuss von SPON (ca. 21:54 Uhr). Zuletzt besucht am 9. März 2016.

Terror. Mutmaßliche IS-Terroristen. Geplanter Anschlag. Völkermord-Resolution. Todesmarsch. Hochwasserkatastrophe. Ein Dorf im Schlamm. Zerstörung und Schlamm. Katastrophenschäden. Übergriff in Sachsen. Bürgerwehr-Show. Mutmaßlicher Angreifer. Darüber streitet der Aldi-Nord-Clan. Machtkampf. AfD-Landtagsvize gibt auf. Polizist mit todkranker Tochter erstreitet Sonderurlaub. Prince an Schmerzmittel-Überdosis gestorben. Hirnerkrankung. Fahranfänger. Kampf gegen Rechts. Kristen Bell über ihre Depression. Neue Unwetter befürchtet. Katastrophenalarm in Niederbayern. Kopf in der Waschmaschine. Deals mit dem Diktator. Obergrenze für Flüchtlinge. Notstand. Brexit. Mangelwirtschaft. Kriselnder Konzern. Hautkrebs. Lehrer in Mexiko öffentlich gedemütigt. Chef führte Doktortitel falsch. 

Fazit: Weiterhin Tod & Elend. Gegen Ende des Seitenschlauchs wirds ein wenig trivialer und damit weniger elend – aber soweit nach unten scrollen normalerweise ja auch weniger Besucher_innen.

Tag 78/2016: Klick-Köder und Antizyklen

Erfolgreiche Dinge werden gerne nachgemacht. Wenn sie dann alle machen, sind sie nicht mehr erfolgreich. Auf die Sättigung folgt die Schrumpfung. Oftmals dauert es lange, bis erkannt wird, dass man mittendrin ist in einer Sättigungsphase; immer mehr Geld und Zeit wird dann verbraten, um den Status Quo aufrechtzuerhalten.

In der Suchmaschinenoptimierungs-„Branche“ ist das so: Jeder kann sich die üblichen Tools mieten, die gängigen Zeitungen kaufen, den typischen Tool-Stack benutzen, die aktuellen Trends umsetzen. Das macht aber halt jeder. Die wirklich kreative Spitze der SEO’s ist meist schon wieder drei Ecken weiter, wenn alle anderen die vermeintlich neuen Erkenntnisse bürokratisch und tapfer umsetzen.

In den Online-„Zeitungen“ herrscht nun immer mehr die Clickbait-Unsitte vor. Alle nutzen sie die vermeintlich unwiderstehlichen Formulierungen („Für diese Tat musste der Mann 15 Jahre ins Gefängnis“, „Eine wunderschöne Feier, doch dann kam überraschender Besuch“). Das geht jetzt noch ein Jahr bis die letzte Redaktion auf den Zug aufspringt. Genauso wie noch das letzte Unternehmen und der letzte Politiker vermeintlich eine „Seite“ im Gesichtsbuch braucht, wo sich doch viele längst schon wieder abwenden und nach Alternativen umsehen.

 

Tag 69/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 5

Heute: ZEIT Online, ca .22:15 Uhr. Die wesentlichen Satzfragmente und Trigger-Wörter. Siehe auch SZtaz, SPON und MZ.

Die Terroristen bloß nicht machen lassen, Von der Leyen darf Doktortitel behalten, Presserat wehrt Änderung des Pressecodex ab, SPD zieht laut Umfrage mit CDU gleich, Das Prominente ist politisch, Kein Englisch, Zschäpe hat an Bekennervideo mitgearbeitet, Fünf Jahre nach der Katastrophe, Zuschütten statt Aufklären, Für unsere letzte Hoffnung auf Sicherheit, Die Politik des Stacheldrahts, Verfassungsgericht erklärt Justizreform für verfassungswidrig, Im Zweifel rechts, E.on verzeichnet vor Aufspaltung Milliardenverlust, Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge steigt, Angeklagter belastet Wohlleben wegen Mordwaffe, 13-Jähriger soll Gleichaltrigen erschlagen haben, 1 von 80 Millionen, Geisterbahnfahrt mit fragwürdigem Schauer, Einer muss den Job doch machen, Wenn nur die anderen nicht wären, Was soll das ganze Theater, Die Google-Vermeidungsmaschine, Die neue Unangezogenheit, Auf dem Rücken der Männer, Ich habe nicht gemerkt, dass zu Hause niemand war, …

An der Stelle stoppe ich mal, irre riesige Startseite. Aber: Weit weniger manipulative Überschriften, Elend und Weltuntergang als die bisher begutachteten Portale. Gut!

Tag 63/2016: Fantastische Zeiten für Journalismus

Nie waren die Zeiten besser, Journalismus neu zu denken und neue journalistische Angebote anzubieten!

  • Die Bereitstellung von Inhalten ist flexibel und keiner Taktung mehr unterworfen; ein 24/7-Journalismus ist durch den gleichen Anbieter möglich; gleichwohl kann die Taktung gemäß persönlicher Neigung programmatisch (durch Personalisierung oder Bots) wiederhergestellt werden („Nachrichten zum Frühstück“, Tageszeitung, Wochenzeitung, Abendzeitung, Wochenende, stündlich, …).
  • Relevanz-Kriterien können vollständig vom „Konsumenten“ definiert werden; wohlmeinende, auch bevormundende, auch kampagnenintendierte  „Kurierung“ von Inhalten erübrigt sich.
  • Der vermeintliche berufliche Ansehensverlust ist oft weinerlich oder nostalgisch verklärt, der Konsument ist im einfachsten Fall genauso Schein-Experte („Das 15-Minuten-Internet-Wissen“); im Besten Fall weiß er es tatsächlich besser; die vierte Gewalt wird nun ihrerseits, durch die Macht der Vielen, kritischer beäugt; die im Ergebnis direkten Debatten und kritischen Diskussionen könnten als neue Qualitäten, Engagement und Politisierung aufgegriffen und weiterentwickelt werden.
  • Es besteht kein Zwang zur kontinuierlichen Veröffentlichung aus nicht-inhaltlichen Gründen („Den Platz zwischen den Anzeigen füllen“).
  • Neue technologische Entwicklungen entlasten von Routineaufgaben, Roboterjournalismus macht das Banale trivial; „geführtes“ Texten ermöglicht gleichbleibende qualitative Standards auch unter Zeitdruck (Phrasendatenbanken und mehr); Sensornetzwerke halten Einzug, Anbieter etablieren sich; Exzellenz und Kreativität sind weiterhin Abgrenzungsmerkmale.
  • Graphendatenbanken werden Gemeingut; Zusammenhänge können leichter hergestellt werden; Archivdienstleistungen können entstehen, auch durch Öffnung (und Digitalisierung) bisheriger Verlagsarchive.
  • Online herrscht Konformismus und wenig Experimentierfreude unter den Verlagsportalen; Pseudo-Perfektionismus führt zu Langsamkeit und überteuerten Investitionen; noch immer leistet man sich den Luxus der Fronten zwischen Print und Online, der Generationen-Debatten; genug Angriffsfläche für Neugründungen ohne Dünkel und Druckwerk (Naivität geht leichter neue Wege; Websites, Audio, Video & Mail sind Commodity).
  • Die Verschmelzung von Berufsgruppen ermöglicht neue Angebote; vor allem Softwareentwickler kommen mit ins Boot; statt erschlagendem Fleißaufgabenjournalismus („Seht her, ich kann Balkendiagramme, viele“) kann fachliche Expertise beim Konsumenten punkten.
  • Smartphones ermöglichen Push- und Pull; Konsum aber auch Produktion; neue Möglichkeiten des Feedbacks, der journalistischen Kontrolle und Kritik; sie machen den momentanen Ort zum personalisierten Suchkriterium für das Nachrichtenangebot.
  • Das Ende der gedruckten Zeitung ist näher denn je und damit schwinden Einstiegshürden für alternative, ökonomischere Verbreitungswege weiter: Biegsames „Papier“, Brillen, Smartwatches, Brillen, In-Ear-Funkmodule, Display-Armreifen, Würfel-Beamer; ein Eldorado für Early-Mover, Gatekeeper, Newsbroker, Start-Ups.
  • Medienübergreifendes Tracking und Datenanalyse birgt mehr Potential denn je; worüber berichtet werden muss, wo die Konsumenten „abgeholt“ werden bekommt dank Geolokalisierung einen ganz neuen Stellenwert;
  • Einnahmen für journalistische Dienstleistung werden immer dann möglich sein, wo Angebot auf Nachfrage (oder Rundfunkbeiträge) trifft; diese wirtschaftliche Banalität ist im Denken von Start-Ups stärker verankert als in vielen traditionellen Gemischtwarenläden.
  • Vor allem in gefühlt chaotischen oder unüberschaubaren Zeiten gibt es Bedarf an Ordnung und Erläuterung; Forderungen nach Transparenz, Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Vertrautem; diese Sehnsucht teilen auch die Lügenpresse-Gläubigen, wenn sie heimlich am Kiosk die Überschriften lesen und vom Korrespondentennetzwerk profitieren; auch hier Chancen ohne Ende.

Aber genug, die Erkältung ruft.

Tag 34/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 4

Heute: SZ.de, ca .22:35 Uhr. Die wesentlichen Satzfragmente und Trigger-Wörter. Siehe auch taz, SPON und MZ.

Hetze im Sekundentakt, Geschäfte am Limit, Merkels Beliebtheit stürzt auf schlechtesten Wert, Rückschlag für Bemühungen um Frieden, Deutschlands neues Feindbild ist der Nordafrikaner, Fuck you ich will das nicht, Ausgetost, Explosion an Board, Mann wird angeblich aus Flugzeug gesaugt, Polizei vernimmt Angreifer, FC Bayern sachlich in Rage, Widerstand gegen Pick-up-Artists, Putzfrau wirft Kunstwerk in Müll, verschwundener Lord für tot erklärt, Niagarafälle ohne Wasser, Peinliches Plakat, Kojoten auf Droge, Obdachloser totgeprügelt, Hebamme unter Mordverdacht, Verurteilt wegen Hasskommentaren, Vierjährige rettet sich vor dem Ertrinken, Friedensgespräche ausgesetzt, Ex-Lehrer wegen Kinderpornografie verurteilt, Polizei räumt Kulturzentrum, Unbekannter überfährt 17 Kängurus hintereinander, Vater des Amokläufers verklagt Klinik, Der Absturz vor der großen Explosion, Spotify kämpfte mit Problemen, Android-App soll den Akku leersaugen, Mieser fieser Sieger, Ärger mit wundersamem Dieselmotor, illegale Angebote, Schlechtes Versteck, Hauptklientel ist der abgestürzte Mittelstand, Eltern fürchten sich vor Migrantenkindern, So verhindern Sie, dass Ihr Ladekabel bricht.

Uff. Wieder ein Grund mehr für fremdes Leben, vor dem Terraforming unseres Planeten nicht anzurufen, ob wir was dagegen haben.

Tag 25/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 3

Die wesentlichen Trigger-Wörter und Satzfragmente aus Überschriften – heute von der Mittelbayerischen (ca. 20:38, Startseite). Zuletzt von taz und SPON. Los gehts:

Olympiatraum rückt näher, Russlanddeutsche gegen Flüchtlinge, Brandopfer erliegt Verletzungen, Tödlicher Pisten-Unfall, Sohn erwacht nach Herz-OP, Oberpfalz beherbergt 12.000 Flüchtlinge, Europol warnt vor schweren IS-Anschlägen, Millionen kleine Kinder sind zu dick, Grenzkontrollen, Streit über Disco-Verbote, Familie ließ Mutter qualvoll sterben, Schandmaul spielt vor Unheilig, Spielzeugwaffen lieber zu Hause lassen, Übung sorgte für Verwirrung, Verletzungsschock bei Handballern, Bilder zum Wohnhausbrand.

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Tag 16/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 2

Weiter gehts mit Schlüsselbegriffen und Satzfragmenten aus Überschriften, heute mit einem Schnappschuss aus der taz (ca. 18:50 Uhr):

Zwischen Schlamm und Tränengas, Kulturschock, Breiter Protest, ratloser Präsident, Obsessive Angst, Rassistischer AfD-Politiker, Gabriel fordert Kontingente, Flüchtlingshilfe, Flüchtlingspolitik, Das Problem wird immer größer, Sexuelle Gewalt, Debatte Rechtspopulismus, Widerstand gegen Rechtsruck, Abschiebungen, Verfassungsklage, Terror-Verdächtige, Dunkle Mächte, Anschlag, Digitalisierung der Landwirtschaft, Demo, Schlechte Stimmung zur Grünen Woche, Trennung zwischen Schichten, Hintertür einbauen, Was Obama über Tampons lernte, Verlorene Zeit, Krieg singen, Brandanschlag, Angst und Angst, Es brennt, Übergriffe.

Uff. Genauso förderlich für Depressionen wie SPON. Wenigstens ist am Ende der Seite ein schönes großes Bild schmackhafter Oliven aus Griechenland („Lecker! Bio-Olivenöl vom Peloponnes“), den es im taz.shop zu kaufen gibt.

Tag 13/2016: Eine Vorstellung von der Welt aus Überschriften, Teil 1

Schlüsselbegriffe und Satzfragmente aus Überschriften, heute mit einem aktuellen Schnappschuss von SPON (ca. 21:25 Uhr):

Ölpreis-Einbruch, Russland-Crash, Attentäter, Terroranschlag, Antragsflut, Übergriffe, schärferes Sexualstrafrecht, Umstrittenes Mediengesetz, Anklage nach Brandanschlag, Verachtenswert, Neonazi-Terroristen, Gerüchte anheizen, Masturbations-Charts, Rundflug über Ruinen, Katastrophenschiff, Eskalation, Wolf verletzt Jogger, Festnahme, Abgrund, Gewissenskonflikt, Zerstörungsvideo, hilfsbereiter Rassist, Ölpreisverfall, Drecksäcke, Schwerer Sturz, Sexismus, Krank zur Arbeit, Tödliches Bakterium, tote Pottwale, Masern hoch ansteckend, Attentat, Fremdgehen, verpestete Luft, begafft wie ein Tier.

Gut informiert, positiv bestärkt, schnell zur Haustür gehen und rausgucken, ob der Weltuntergang wirklich schon da ist.